Link 05 – Kinderarmut in Österreich

Arme Kinder dürfen nicht die armen Erwachsenen von Morgen werden.

Fast jedes sechste Kind oder Jugendliche bis 17 Jahre ist in Österreich armutsgefährdet. Das hat fatale Auswirkungen auf deren Zukunft.
In Österreich leben keine Kinder in zerfetzten Klamotten auf der Straße, die PassantInnen Papierblumen oder Kaugummi verkaufen. Kinderarmut gibt es aber auch bei uns. Hier sieht sie ein bisschen anders aus.

Auffällig am Schulanfang
Als armutsgefährdet gilt eine Person, die mit weniger als 60% des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung auskommen muss. Diese Definition wird in ganz Europa angewendet.

Erich Fenninger von der Volkshilfe erklärt, dass vor allem jetzt am Schulanfang sichtbar wird, wer arm ist und wer nicht: „Durchschnittlich 300 Euro pro Kind fallen im September beim Schulanfang an, die sind in vielen Fällen nicht vorhanden. Man merkt es, wenn Kinder nicht auf den Skiausflug oder die Schulveranstaltung mitfahren. Armut wird bei der Bekleidung sichtbar, oder wenn Kinder nicht mitkommen im Unterricht, weil sie von der familiären Situation belastet sind.“

15 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind in Österreich akut armutsgefährdet, in absoluten Zahlen sind das 234.000. Das sagt eine aktuelle Studie der Volkshilfe. Damit sind mehr Kinder und Jugendliche armutsgefährdet als Erwachsene, bei denen die Armutsgefährdung bei 13 Prozent liegt. Das ist aus mehreren Gründen fatal: zum einen, weil aus armen Kindern ziemlich sicher arme Erwachsene werden, zum anderen, weil Armut sich nicht nur in einem Mangel an Geld oder Spielsachen zeigt.

Zurückbleiben in der Schule
„Durch die materielle Einschränkung sind Kinder und Jugendliche auch im kulturellen eingeschränkt“, sagt Erich Fenninger. „Wir wissen aus der Hirnforschung, dass Kinder, die im Mangel aufwachsen, eine schlechtere kognitive Entwicklung haben. Das heißt im Lesen, im Schreiben in der Sprachentwicklung sind sie hinten nach.“

Denn wenn die Eltern so stark damit beschäftigt sind, Geld für die Miete aufzubringen oder einen Job zu finden, haben sie wenig Zeit, sich mit ihren Kindern zu Hause zu beschäftigen. In Österreich wird noch besonders viel zu Hause geübt und gelernt, was die Eltern von benachteiligten Familien oft nicht leisten können. Wenn man dann als Familie noch auf beengtem Raum wohnt, ist vielleicht nicht einmal ein ruhiger Platz da, wo man Hausaufgaben machen kann.

Dazu kommt, dass das segregative österreichische Schulsystem diese Ausgrenzung noch verstärkt. Das heißt, Kinder aus benachteiligten Familien werde selbst nur einen „kurzen Bildungsweg“ einschlagen, wie das in Fachjargon heißt, also oft über die Pflichtschule nicht hinauskommen.

Sozial isoliert
Neben einem Startnachteil bei der Bildung haben vor allem arme Jugendliche auch Schwierigkeiten beim Kontakt mit Gleichaltrigen. „Oft können sie keine FreundInnen einladen, weil die Wohnung zu klein ist oder weil sie sich für ihre Wohnverhältnisse genieren“, sagt Erich Fenninger „Sie können nicht auf Urlaub fahren, erleben daher auch nichts anderes. Sie sind also sehr isoliert.“ Wer nicht am Schulskikurs dabei ist oder ins Schwimmbad mitkommt, vielleicht auch kein Smartphone mit Internetzugang hat, der oder die versäumt viel bei der Cliquenbildung. Um das zu kompensieren, fallen benachteiligte Kinder und Jugendliche oft auf. Manchmal sind besonders aggressiv oder „Stören“ in der Schule. Oder sie ziehen sich überhaupt zurück.

Ein dynamischer Prozess
„Armut ist kein starres Gebilde, sondern ein dynamischer Prozess. Wir müssen sehr früh ansetzen und uns auf die Kinder in den Haushalten konzentrieren“, warnt Erich Fenninger.
Besonders oft sind Ein-Eltern- Haushalte von Armut betroffen, häufig GeringverdienerInnen und Arbeitslose oder MigrantInnen. Umfassende soziale Absicherung würde hier helfen, die Volkshilfe könnte sich auch eine eigene Kinder-Grundsicherung vorstellen. Auch der Ausbau von Ganztagsschulen und Kindertagesbetreuung, genauso wie die Schaffung von besser bezahlten Teilzeitarbeitsplätzen oder familienfreundliche Arbeitszeiten würde armen Familien entgegen kommen. Die Armutskonferenz wünscht sich von einer kommenden Bundesregierung, dass sie die Bekämpfung von Kinder- und Jugendarmut zu einem ihrer Regierungsprojekte macht.

Da klingt die neueste Meldung etwas bedrückend: Minister Hundstorfer spendiert – gemeinsam mit Außenminister Kurz, 50 (fünzig) Millionen Euro für Deutschkurse.

Quelle: Volkshilfe, Tageszeitung „HEUTE“ vom 25.6.2015 Seite 5